Bullshit-SEO

Zwischen Mitte März und Ende Mai 2020 habe ich im Rahmen der Coronakrise bzw. des Shutdowns kostenlose Telefoncoachings angeboten. Dabei sind mir sehr interessante und ganz unterschiedliche Fragen und Problemstellungen begegnet. Gelegentlich hat es mir auch die sprichwörtliche Hutschnur gelüpft. Warum, das erzähle ich Ihnen hier:

Ein Beratungskunde brauchte Feedback zu einem schon vor seiner Zeit erteilten Auftrag zur Suchmaschinenoptimierung und schickte mir Informationen: Für einen Gegenwert von CHF 10’000.- pro Jahr wurden folgende Leistungen erbracht: Suchmaschinenoptimierung einer Webseite auf dreissig thematisch gleiche Keywords und für 60 Suchmaschinen weltweit, mit monatlichen Reportings.

Warum mir die Hutschnur hochging?
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Analyse?

Die Webseite war vorgängig offensichtlich nicht analysiert worden. Sonst hätte man festgestellt, dass strukturelle Grundlagen für Suchmaschinenoptimierung, wie z.B. eine Sitemap, eine Überschriftenstruktur, ausreichend Text, etc. völlig fehlten. Man kann eine Webseite nicht allein mit Keywords in Metatags optimieren.

Auch das Angebot und die Zielgruppen des Hotels wurden anscheinend nicht wirklich analysiert. Sonst hätte man festgestellt, dass es im vorliegenden Fall wenig bis gar keinen Sinn macht, Geld für ein gutes Ranking auf Suchmaschinen wie Hulbee, Sogou, DuckDuckGo, Lycos etc. auszugeben und das weltweit in Märkten wie Peru, Kasachstan, Litauen etc.
Google hat aktuell weltweit einen Marktanteil von knapp 93%. Auf dem zweiten Platz liegt Yahoo mit ergreifenden 1.8%, Baidu (China) mit 1%, Yandex (Russland) mit 0.5% und «Andere» mit 1.6%.  Man braucht kein Spezialist zu sein, um zu bemerken, dass eine Optimierung für Google für die meisten Zwecke vermutlich völlig ausreicht. Abgesehen davon, dass eine Webseite, die für Google optimiert ist, aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Anforderungen anderer Suchmaschinen zufriedenstellt.
WENN für das Angebot auch der chinesische oder russische Markt enorm interessant wäre, könnte eine Optimierung für Baidu oder Yandex in Erwägung gezogen werden. Aber dazu genügt eine einfache Metatag-Keyword-Optimierung ebenfalls sicher nicht.

Mit einer Analyse der Ausgangslage auf der Webseite hätte man im Übrigen auch festgestellt, dass Google Analytics falsch eingestellt war und die unwahrscheinlichsten Ergebnisse punkto Seitenaufrufen, Akquisequellen, etc. lieferte.

Reportings?

Die Reportings bestanden aus einer Dashboard-Übersicht aus einem Open Source Analyseprogramm mit Angaben zur Anzahl Besucher, zu Besucherquellen, zu Suchbegriffen (leider “nicht definiert”) und den Top Ten Seiten. Dazu eine monatliche über hundert Seiten lange Darstellung der “Top-Positionen” und der Rankings für alle 30 Keywords bei allen Suchmaschinen weltweit. Aufgeführt waren dabei die Seite (1-3), die Position auf der betreffenden Seite und das Ranking pro Keyword, Suchmaschine und Land. Was dagegen überhaupt nicht gemessen wurde: die Klickzahlen!

Ein gutes Ranking, selbst in einem interessanten Markt, nützt nur dann, wenn die Seite nicht nur angezeigt, sondern tatsächlich auch geklickt wird.
Und wenn darüberhinaus auch gemessen wird, ob die Besucher auf der Webseite bleiben, wie lange sie bleiben, welche Seiten sie anschauen und letztendlich: ob sie buchen. Nur so lässt sich sagen, ob sich eine Marketingmassnahme – und dazu gehört die Suchmaschinenoptimierung – sich auch auszahlt.

All das sind Dinge, die man im Übrigen völlig kostenlos, in weit besserem Detail und mit viel mehr Aussagekraft aus Tools wie Google Analytics und Search Console erfahren kann.

Metatags?

Google schreibt vor, dass für jede Unterseite einer Webseite ein eigener, aussagekräftiger Metatitel/Seitentitel und eine eigene aussagekräftige Meta-Description erfasst werden soll. Darin sollten nur Keywords oder Inhalte stehen, die auf der betreffenden Seite auch tatsächlich vorkommen. Denn für Google ist der wichtigste Qualitätsfaktor einer Webseite die Erfüllung der Suchabsicht des Nutzers.
Im vorliegenden Fall enthielten die Metatags der verschiedenen Unterseiten ähnliche Keywords, in der Form von Sales-Pitches, die sich nicht auf den tatsächlichen Inhalt der betreffenden Seite bezogen, Marke und Location nicht berücksichtigten und teils sogar peinliche Rechtschreibfehler enthielten.

Fazit für Sie:

Google ist nicht dumm und lässt sich mit Pflästerli-SEO wie im vorliegenden Fall nicht an der Nase herumführen. Wie gesagt: Für Google ist der wichtigste Qualitätsfaktor einer Webseite die Erfüllung der Suchabsicht des Nutzers. Und diese Suchabsicht wird zuallererst mit ausreichend relevantem Content erfüllt, nicht mit irgendwelchen Tricks.

Suchmaschinenoptimierung ist eine Grundlageninvestition in Design, Struktur und Content Ihrer Webseite. Suchmaschinenoptimierung sollte auf einer gründlichen Analyse beruhen, bei der nicht nur Ihre gesamte Webseite betrachtet wird, sondern auch Ihre Ziele, Ihre Zielgruppen und Ihr Angebot.
Zu einer grundlegenden Optimierung gehören daher meist Anpassungen in der Webseitenstruktur, im sichtbaren Text und im nicht (so) sichtbaren Metatag-Content.

Wenn diese grundlegende Optimierung abgeschlossen ist, kann es durchaus Sinn machen, dranzubleiben und regelmässig zu schauen, wie sich Rankings, Klickzahlen und Conversions entwickeln und ob noch irgendwo etwas optimiert oder an neue Voraussetzungen im Angebot oder bei Google angepasst werden sollte.
Je nach Grösse des Betriebs, Angebots und Umsatzes kann das monatlich sinnvoll sein oder auch nur jedes Viertel- oder halbe Jahr.

SEO-Checkliste

Um kein Geld für mehr oder weniger sinnlose “Optimierungsmassnahmen” zu verschwenden, sollten Sie daher vor einer Auftragserteilung Folgendes prüfen und verlangen:

1. Analyse:
Ist eine Analyse Teil des Angebots und was wird dabei analysiert?

2. Strategie:
Erhalten Sie Empfehlungen für Keywords und Optimierungsmassnahmen auf der Basis der Analyse und Ihrer ganz spezifischen Anforderungen? Oder sieht es eher nach «One size fits all»-Empfehlungen aus?

3. Bezahlmodell:
Wie wird abgerechnet? Ist es ein einmaliges Optimierungsprojekt oder geht es um eine monatliche Betreuungspauschale?
Tipp: Sehr günstige Pauschalen gehen normalerweise nicht mit individueller Betreuung einher, sondern mit automatisierten «Cookie Cutter»-Prozessen.

4. Vertragsdauer/Kündigungsfrist:
Bleiben Sie so flexibel wie möglich und lassen Sie sich nicht auf viel mehr als 6 Monate Vertragsdauer ein. Danach sollten Verbesserungen in Rankings, Klickzahlen, etc. soweit erkennbar sein, dass Sie auf einer sinnvollen Zahlenbasis über eine Fortführung des Auftrags entscheiden können.

5. Inhaberschaft:
Bleiben Sie Eigentümer Ihres Google Analytics und Search Console Kontos (und natürlich auch Ihres Google Adwords Kontos – aber das ist eine andere Beratungsgeschichte).

6. Reportings:
Wann erhalten Sie welche Art von Berichten, wie sehen diese aus und sind sie verständlich und aussagekräftig?

7. Conversions:
Lassen Sie sich in Google Analytics Conversions einrichten, damit Sie die Wirkung der Massnahmen auch in tatsächlichen Umsatzwerten messen können.


Anmerkung: Um sicherzugehen, dass ich mit meiner Meinung richtig lag, habe ich mein SEO-Spezialistennetzwerk befragt. Eine Auswahl der Reaktionen:

«Grundsätzlich haben Keywords nichts in einem Vertrag zu suchen. Sind ja nicht mehr in den 90ern. Google bewertet ständig die Intents neu, wer seine Strategie hier nicht anpassen kann, verliert. Grundsätzlich will man ja auch keine Rankings sondern Traffic der im Sinn der eigenen Ziele auch konvertiert. Rankings sind der Weg dahin, aber nicht das Ziel.»

«Metatags für alle Unterseiten auf dieselben Keywords optimiert, egal, was auf den Seiten steht… wirkt (Preis nicht berücksichtigt) eher nach Einsteigerarbeit. Und was sollen Rankingberichte ohne Klickzahlen? Das ist Hausaufgabe, das mit GSC zu vervollständigen. Je genauer ich das lese, desto mehr *facepalms* mache ich.»

«60 Suchmaschinen weltweit. Solche Dienste und Programme gab es viele Ende der 90er.»

«Aus welchem Jahrzehnt stammt das?»

«Wenn das Leute sind, die Ahnung haben, ist das eher traurig …»